»Was ist der Mensch?«

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»Was ist der Mensch?«

Vor ein paar Monaten habe ich im Gemeindebrief das berühmte Gedicht von Dietrich Bonhoeffer „Wer bin ich?“ veröffentlicht. Es lohnt sich dieses Gedicht noch einmal zu lesen. Denn es ist die große Frage, die uns Menschen ja immer wieder bewegt: „Wer bin ich?“
Es ist eine Frage, die durch die Jahrtausende der Menschheitsgeschichte geht – bis heute und auch bis zu uns zu jedem persönlich.
Zu allen Zeiten hat der Mensch nach sich selbst gefragt. »Wer bin ich?« »Warum bin ich so, wie ich bin?« »Woher komme ich?« »Warum bin ich ich und nicht ein anderer?«
»Erkenne dich selbst!« – so lautet eine Inschrift im alten Delphi. Und zu allen Zeiten hat der Mensch selbst versucht, darauf Antworten zu geben.
Die Geistesgeschichte ist die Geschichte der Antworten auf diese Frage. Für den griechischen Philosophen Aristoteles ist der Mensch ein vernünftiges und soziales Wesen.
Goethe sprach vom guten und edlen Menschen.
Friedrich Nietzsche lehrte den Übermenschen, was ja dann die Basis des Nationalsozialismus war, und bei Darwin ist der Mensch der Affe, der spricht.
Mit jeder neuen Wissenschaft entstand auch eine neue Sicht vom Menschen, ein neues Menschenbild.
Ein System biochemischer Prozesse ist der Mensch für den Chemiker, Produktionsfaktor für den Ökonomen, natürliche Person für den Juristen, ein unbewusstes Es für den Psychologen, ein Schauspieler mit unterschiedlichen Rollen für den Soziologen usw. Also steht die große Frage im Raum: „Wer bin ich?“
Viele unserer Zeitgenossen denken letztlich über den Menschen nihilistisch und resigniert, wie Heinrich von Kleist formuliert hat.
Auf die Frage nach dem Menschen heißt es bei ihm lapidar: »Wo komm ich her? […] Aus Nichts […]. Wo geh’ ich hin? […] Ins Nichts […]. Wo bin ich? […] Hart zwischen Nichts und Nichts!« (Die Hermannsschlacht V/4).
Der Mensch geschaffen: »Und siehe, es war sehr gut«
Auch in der Bibel findet sich die Frage nach dem Menschen. »Was ist der Mensch?«, so heißt es in Psalm 8.
»Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst?«, so wird die Frage nach dem Menschen laut. Dabei geht es in diesem Gebet, in diesem Hymnus, nicht in erster Linie um den Menschen, sondern vor allem um die Herrlichkeit Gottes: »HERR, unser Herrscher, wie herrlich ist dein Name in allen Landen«, so beginnt und beendet der Beter seinen Lobpreis.
Doch es bleibt nicht nur bei der Frage. Die Bibel hat auch Antworten, wer der Mensch sei. Schauen wir weiter in den Psalm 8: »Wenn ich sehe die Himmel, deiner Finger Werk, den Mond und die Sterne, die du bereitet hast« (V. 4) – man sieht den Beter förmlich, wie er staunend seinen Blick über den Himmel schweifen lässt –, und dann die Frage »Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst?« (V. 5).
Ein »Nichts!« könnte man erwarten. Angesichts der Größe und Herrlichkeit Gottes ist der Mensch völlig unbedeutend, ein Wurm, eine kleine Nummer, ein kleines Rädchen.
Der Mensch ein Nichts – der Mensch aus dem Nichts?
Doch der Beter redet gerade nicht mit den Worten von Heinrich von Kleist! Sondern ganz im Gegenteil: »Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott, mit Ehre und Herrlichkeit hast du ihn gekrönt« (V. 6).
Nicht klein, sondern groß, nämlich nur wenig niedriger als Gott, nicht aus dem Nichts kommt er, sondern von Gott.
In Psalm 8 lobt der Mensch Gott und bekennt, dass Gott Schöpfer und der Mensch sein Geschöpf ist. In Psalm 8 ist die Bedeutung des Menschen und seine Würde von seinem Ursprung und seinem Auftrag (V. 7–9) hergeleitet, von der Schöpfung. Der Mensch hat demnach eine Schöpfungswürde. Der Mensch ist von Gott ausgezeichnet. In 1. Mose 1,31 begutachtet der Schöpfer das Werk des Tages, an dem er auch den Menschen machte: »Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut.«
Der Mensch ein Sünder
Wer ist der Mensch? Die sogenannte Urgeschichte von 1. Mose 1 11 erzählt nun aber nicht nur vom guten Geschöpf, sondern auch von seinen Abgründen, seiner Schwäche und Hinfälligkeit.
Davon erzählt der sogenannte Sündenfall und auch die Geschichte von Kain und Abel. Sie erzählt vom Menschen. Davon, dass die Menschen Geschwister sind, die zusammenhalten und einander stärken und gleichzeitig wie Katz und Maus sein können, einander die Luft nicht zum Atmen gönnen. Sie haben unterschiedliche Berufe. Arbeitsteilung war schon damals in der bäuerlichen Welt nötig. Menschen entwickeln sich unterschiedlich. Der eine ist Ackermann und bewirtschaftet seine Felder. Der bodenständige Landwirt. Der andere der mobile Hirte, ständig unterwegs, aber immer mit und bei seinen Tieren.
Die biblische Geschichte im Ganzen aus 1. Mose 4,1-16:
4,1 Und Adam erkannte seine Frau Eva; und sie wurde schwanger und gebar den Kaine. Und sie sprach: Ich habe einen Mann erworben mit der Hilfe des HERRN!
2 Und weiter gebar sie seinen Bruder Abel. Und Abel wurde ein Schafhirte, Kain aber ein Ackerbauer.
3 Und es geschah nach geraumer Zeit, dass Kain dem HERRN ein Opfer darbrachte von den Früchten des Erdbodens.
4 Und auch Abel brachte [ein Opfer] dar von den Erstlingen seiner Schafe und von ihrem Fett. Und der HERR sah Abel und sein Opfer an;
5 aber Kain und sein Opfer sah er nicht an. Da wurde Kain sehr wütend, und sein Angesicht senkte sich.
6 Und der HERR sprach zu Kain: Warum bist du so wütend, und warum senkt sich dein Angesicht?
7 Ist es nicht so: Wenn du Gutes tust, so darfst du dein Haupt erheben? Wenn du aber nicht Gutes tust, so lauert die Sünde vor der Tür, und ihr Verlangen ist auf dich gerichtet; du aber sollst über sie herrschen!
8 Und Kain redete mit seinem Bruder Abel; und es geschah, als sie auf dem Feld waren, da erhob sich Kain gegen seinen Bruder Abel und schlug ihn tot.
9 Da sprach der HERR zu Kain: Wo ist dein Bruder Abel? Er antwortete: Ich weiß es nicht! Soll ich meines Bruders Hüter sein? 10 Er aber sprach: Was hast du getan? Horch! Die Stimme des Blutes deines Bruders schreit zu mir von dem Erdboden!
11 Und nun sollst du verflucht sein von dem Erdboden hinweg, der seinen Mund aufgetan hat, um das Blut deines Bruders von deiner Hand zu empfangen!
12 Wenn du den Erdboden bebaust, soll er dir künftig seinen Ertrag nicht mehr geben; unstet und flüchtig sollst du sein auf der Erde!
13 Und Kain sprach zum HERRN: Meine Strafe ist zu groß, als dass ich sie tragen könnte!
14 Siehe, du vertreibst mich heute vom Erdboden, und ich muss mich vor deinem Angesicht verbergen und unstet und flüchtig sein auf der Erde. Und es wird geschehen, dass mich totschlägt, wer mich findet!
15 Da sprach der HERR: Fürwahr, wer Kain totschlägt, der zieht sich siebenfache Rache zu! Und der HERR gab dem Kain ein Zeichen, damit ihn niemand erschlage, wenn er ihn fände.
16 Und Kain ging hinweg von dem Angesicht des HERRN und wohnte im Land Nod, östlich von Eden.
Wenn wir auf Kain schauen – könnten wir resignieren. Wenn wir auf unsere Welt sehen, darauf, was heute alles aus den Fugen geraten ist, in der großen und kleinen Welt – könnten wir verzweifeln.
Doch die Strafe ist nicht das Ende. Die Höchststrafe für den Ackermann, dass man ihm seinen Boden nimmt, seinen Acker, seine Existenz, ist nicht das Ende.
Gott überlässt die Welt nicht sich selbst. Er ist unermüdlich damit beschäftigt, den Menschen vor seinem Tod zu bewahren.
Das heißt, Schöpfung geschah nicht nur am Anfang, sondern über die Zeiten hin bis heute schafft, bewahrt und erhält Gott seine Welt. Gerade angesichts des Bedrohlichen, des Chaotischen und Bösen in der Welt bekennt die Bibel, dass Gott die ganze Welt in seiner Hand hält.
Dafür steht das Zeichen. Das Mal. Ein Zeichen der Bewahrung, des Neuanfangen-Dürfens, der Vergebung, des Lebens. Sprichwörtlich steht das Kainsmal dafür, dass einer negativ abgestempelt worden ist, sozusagen gebrandmarkt ist.
Das Gegenteil ist aber gemeint. Gezeichnet ist der Kain, das ist keine Frage. Ihr kennt ja das Sprichwort: „Er ist gezeichnet für sein Leben.“ Folgenlos ist Tat von Kain nicht. Er muss mit ihr leben. Aber er darf leben. Es ist ein Zeichen der Bewahrung.
Gott ist unermüdlich damit beschäftigt, den Menschen vor seinen eigenen Abgründen zu bewahren. Dafür steht auch Seth. Der »Setzling«, der Stellvertreter.
Gottes Geschichte mit seinen Menschen endet nicht mit Kain und Abel. Der Mord hat nicht das letzte Wort. Abel soll nicht verloren gehen.
Eva protestiert mit der Namensgebung ihres dritten Sohnes gegen den Lauf der Dinge, gegen die schiefe Ebene der Sünde. Die Geschichte Gottes mit den Menschen knüpft bei Abel noch einmal an. Seth setzt die Segenslinie fort und wird Stammvater Abrahams.
Die Urgeschichte weiß von der Güte der Schöpfung einerseits und andererseits auch von Chaos und Durcheinander, von der Existenz dessen, was wir »Sünde« nennen.
Keine Auskunft bekommen wir allerdings auf die Frage, woher die Sünde kam, ob sie auch von Gott geschaffen wurde. Da schweigen die biblischen Texte. Woher die Schlange kam und warum Gott das Opfer des Kain nicht freundlich ansah.
Die Bibel sagt uns lediglich: So ist es, so ist der Mensch, so sind die Lebensverhältnisse, verschieden und allzu oft ungerecht. Dem einen gelingt alles, dem anderen nichts. So ist der Mensch, so abgründig und verführbar und zerbrechlich.
Gott ist unermüdlich damit beschäftigt, den Menschen vor seinen eigenen Abgründen zu bewahren. Dafür steht die gesamte Geschichte Gottes mit seinen Menschen von Abraham über Mose und David bis hin zu Jesus. Es ist eine Geschichte des Hinfallens und Wieder-Aufstehens. Eine Geschichte der Befreiung und Erlösung.
Gott ist unermüdlich damit beschäftigt, den Menschen zu bewahren. Und er tut das mit seinen Menschen. Menschen, die anderen zum Samariter werden. Die Niedergeschlagenen aufhelfen, die Wunden verbinden, die Herbergen bezahlen, kurz: die für die »geringsten« Brüder da sind. Nächstenliebe und Solidarität ist unsere Aufgabe. Wer bei Gott eintaucht, der taucht bei den Armen auf. Bei den Nahen und den Fernen. Ja, wir sollen unseren Nächsten Geschwister sein. Der Mensch ist Mitmensch. Wir sollen aufeinander achten in der Familie, in den Nachbarschaften und Vereinen und auch in unserer Kirchengemeinde.
Wir sollen auch als Kirche auf das Gemeinwesen achten und uns einbringen, wo wir gebraucht werden. »Suchet der Stadt Bestes!« anstatt »Soll ich meines Bruders Hüter sein?«.
Amen.
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